Beitrag aus der Body LIFE Medical 5/2021, S. 60 – Autorin: Dr. Corina Schär

Kann die Atemmuskulatur helfen, überschüssige Pfunde loszuwerden?

Trotz eines sehr breiten Anwendungsfelds und verschiedenen, in zahlreichen Studien nachgewiesenen Vorteilen fristete das Atemmuskeltraining lange Zeit ein Nischendasein. Seitdem jedoch die Covid-19-Pandemie die Welt auf den Kopf gestellt hat, wird dem Respiratory Muscle Training, kurz: RMT, allmählich mehr Beachtung geschenkt. Dr. Corina Schaer beleuchtet die Vorteile dieses Trainings für Adipositas-Patienten.

Atemmuskeltraining wird von der Weltgesundheitsorganisation WHO in ihren Guidelines für die Reha von lungengeschädigten Covid-19-Patienten empfohlen. Zudem ist schon länger bekannt, dass Patienten, die vor einem operativen Eingriff mit künstlicher Beatmung gezielt ihre Atemmuskulatur trainieren, weniger Komplikationen und auch eine kürzere Aufenthaltszeit im Krankenhaus haben. Aufgrund der Vielzahl an Patienten, die wegen einer Covid-19-Infektion künstlich beatmet werden mussten, ist diese Erkenntnis von immenser Bedeutung. Auch bereits länger bekannt sind die positiven Effekte des Atemmuskeltrainings bei Patienten mit chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen, kurz COPD – die dritthäufigste Todesursache weltweit.

Effekte auf Gewichtsabnahme

Vergleichsweise wenig untersucht sind bisher die Effekte von Atemmuskeltraining auf eine mögliche Gewichtsabnahme. Mit der Thematik „Atemmuskeltraining und Abnehmen“ haben sich bislang drei wissenschaftliche Studien intensiv auseinandergesetzt, die aus den Jahren 2011, 2013 und 2017 stammen.¹ Sie wurden mit Geräten durchgeführt, die ein Ausdauertraining der Atemmuskulatur ermöglichen. Die Funktionsweise dieser Geräte unterscheidet sich dadurch von herkömmlichen Atemmuskeltrainern, dass in einem am Gerät angebrachten Beutel ein Teil der ausgeatmeten Luft aufgefangen wird. Ein Teil dieser CO2-reichen Luft, gemischt mit Frischluft, wird dem Anwender beim nächsten Atemzug wieder zugeführt (sog. normokapnische Hyperpnoe). Dadurch wird sichergestellt, dass trotz stark erhöhter Atemfrequenz und Atemtiefe über einen längeren Zeitraum keine Hyperventilation mit Schwindelgefühl auftritt.

Wundermittel?

Die schlechte Nachricht vorneweg: Ein signifikanter Gewichtsverlust konnte bei keiner der Studien unmittelbar nachgewiesen werden. Während die Resultate dieser Studien also den Schluss nicht zulassen, dass ein Atemmuskelausdauertraining allein zu deutlichem Gewichtsverlust führt, so sind die belegten positiven Effekte aus den Studien bei adipösen Personen nicht von der Hand zu weisen:

  • Steigerung im Sechs-Minuten-Gehtest
  • Steigerung der Atemmuskelausdauer
  • Linderung der Dyspnoe
  • Steigerung der Lebensqualität
  • Erhöhte Ausschüttung von Wachstumshormonen
  • Schnellerer Abbau von Kortisol
  • Reduktion der gefühlten Anstrengung bei körperlicher Leistung

Jeder einzelne dieser Punkte ist natürlich erfreulich – die Summe aller Punkte ist es jedoch, die eigentlich jeden Diätspezialisten begeistern muss. Denn die Kombination dieser Effekte ist eine ideale Ausgangslage, um Personen mit Übergewicht das Abnehmen signifikant zu erleichtern. Die zwei wichtigsten Komponenten beim Gewichtsverlust sind unbestritten eine angepasste Diät und eine Steigerung der körperlichen Aktivität. Beides erfordert zwingend ein bestimmtes Maß an Disziplin. Im Diätbereich gibt es bereits viele Programme und Ansätze, die erwiesenermaßen Erfolg bringen können. Während es grundsätzlich keiner besonderen Voraussetzungen bedarf, die Ernährung umzustellen, liegt bei einer Änderung des Bewegungsverhaltens die Schwierigkeit häufig darin, dass gerade schwer übergewichtige Personen bei null anfangen müssen. Hier kann die Unterstützung durch gezielt eingesetztes Atemmuskeltraining den Unterschied ausmachen.

Geringe Einstiegshürden

Der Einstieg ins Atemmuskeltraining ist denkbar einfach. Im Vergleich zu herkömmlichem körperlichem Training kann es im Sitzen oder Liegen ausgeführt werden. Dies ist gerade bei Personen von Vorteil, die aufgrund ihres Übergewichts keine gelenkbelastenden Sportarten ausüben können. Abgesehen von einem handgehaltenen Gerät, das ein Atemmuskeltraining ermöglicht, wird keine zusätzliche Ausrüstung benötigt. Mit einem Aufwand von ungefähr fünf bis fünfzehn Minuten pro Trainingseinheit ist das Training vom zeitlichen Aufwand sehr überschaubar. Vorkenntnisse sind nicht erforderlich und die Trainingseinstellungen können individuell angepasst werden. Die Hürden für einen Start ins Atemmuskeltraining sind somit vergleichsweise niedrig.

Das Atemmuskeltraining lässt sich auch gut mit anderen Trainingsformen kombinieren, z. B. als Aufwärmübung, als Bestandteil eines Trainingszirkels oder bei Fortgeschrittenen auch in Kombination mit Gleichgewichtsübungen oder Krafttraining für die unteren Extremitäten.

Neue Trainingsmöglichkeiten

Neben dem Ausdauertraining für die Atemmuskulatur gibt es zahlreiche Atemtrainingsgeräte, mit denen ein Krafttraining durchgeführt werden kann. Seit Kurzem besteht dank neuartiger Trainingsgeräte auch die Möglichkeit, High Intensity Interval Training (HIIT) durchzuführen. Wie sich diese Trainingsform auf die Ausschüttung von Wachstumshormonen auswirkt, untersucht zurzeit die Forschungsgruppe um Dr. A. Sartorio. Nicht mehr ganz neu, aber für die Motivation der Betroffenen von Bedeutung ist die Tatsache, dass es sich bei der neuesten Generation von Atemmuskeltrainingsgeräten um smarte Geräte handelt, die via Bluetooth mit dem Smartphone gekoppelt werden können. So lassen sich Trainingsfortschritte einfach auswerten und teilen.

Hier finden Sie den Originalartikel aus der Body LIFE Medical und weitere Informationen unter www.bodylife.com.