PD Dr. med. Jürg Hamacher ist Facharzt für Pneumologie und Allgemeine Innere Medizin. Er praktiziert am Lindenhofspital in Bern.

Idiag: Herr Dr. Hamacher, wir führen dieses Gespräch zu einem Zeitpunkt, an dem die Zahl der nachgewiesenen Neuinfektionen mit COVID-19 glücklicherweise wieder im zweistelligen Bereich liegt. Wie haben Sie die vergangenen Wochen erlebt?

Hamacher: In den rund 30 Jahren, in denen ich als Pneumologe gearbeitet habe, waren einige spezielle Situationen dabei, insbesondere Ende 80er und Anfang 90er Jahre die 30% bronchoskopische Arbeit bei HIV-Patienten, von denen ohne effiziente Therapie so viele verstarben. Was wir in den vergangenen Wochen im In- und insbesondere im Ausland wie in Norditalien erlebt haben, ist in vieler Hinsicht beeindruckend, menschlich extrem herausfordernd und  hat für uns alle vom Beruflichen bis ins tiefste Privatleben ganz vieles verändert: Praktisch sämtliche Bereiche des Lebens und auch unserer Arbeit und Arbeitswelt waren betroffen. Alte Menschen haben durch die „Stay home“- Strategie, hinter der ich stehe, teils bedrohlichste Muskelverluste bis hin zu einer neuen Immobilität erlebt.

Im Lindenhofspital wurde die globale und die lokale Entwicklung stets streng verfolgt. Wir konnten nur durch gute Vernetzung aller Beteiligten, vom ambulanten zum Pflege- und Intensivpflegebereich bis in die Physiotherapie und zu uns Ärzten den Herausforderungen einigermassen gerecht werden.

Der Austausch mit Kollegen im Haus wie auch im In- und Ausland war wichtig, teils schwierig, teils sehr erfreulich. Auf Patientenseite konnten wir der Anzahl Patienten und ihren Angehörigen bisher einigermassen unter den schwierigen Voraussetzungen gerecht werden. Dabei galt es insbesondere auch diejenigen Menschen nicht zu vergessen, die nicht an diesem viralen Infekt litten, aber dennoch medizinische Hilfe brauchten, und diese wenn irgend möglich umzusetzen. Ganz eindrücklich ist für uns die Situation der isolierten leidenden betagten Personen, die sehr stark dekonditioniert geworden sind, sowie auch der Personen, die durch fehlende Sozialkontakte extrem gelitten haben oder zum Beispiel auch nächste Angehörige nicht begleiten konnten.

Idiag: Welche Patienten sehen Sie aufgrund der COVID-19-Pandemie nun häufiger?

Hamacher: Es sind in erster Linie Leute, welche nach einer überstandenen COVID-19-Infektion medizinische Unterstützung im Sinne einer rehabilitativen Begleitung benötigen. An mehreren Tagen in der Woche behandle ich zurzeit solche Patienten. Wir haben aber auch eine grössere Nachfrage von Leuten, welche an Vorerkrankungen leiden bzw. zu entsprechenden Risikogruppen gehören. Diese Leute wollen wissen, wie sie sich am besten vor einer Infektion schützen können, wie sie sich bezüglich Arbeit und Leben verhalten sollen, oder gar was im Falle einer Infektion zu tun wäre.

«Seit ich selbst mit Gesichtsmaske unterwegs bin, ist mir die Bedeutung der Atemmuskulatur wieder sehr bewusst.»

Idiag: Sie setzen den STMedical der Idiag nun auch zur COVID-19-Therapie ein. Weshalb?

Hamacher: Das Virus greift unser respiratorisches System an und hier gilt es als erstes anzusetzen. Bei den COVID-19-Patienten, und interessanterweise eben nicht nur bei solchen, welche eine Phase mit künstlicher Beatmung hinter sich haben, liegt einerseits eine kranke und ineffiziente sowie unelastische, weiterhin entzündete und sich nur über Tage bis Wochen erholende Lunge vor. Andererseits tritt durch den extrem rasch auftretenden Katabolismus im Rahmen von Infekten mit Fieber und einer kaum möglichen bedarfsgerechten Ernährung und fehlendem Training wie auch Entzündungs-Botenstoffen, die quasi dem ganzen Körper und jeglichem Organ lediglich Katabolismus erlauben, eine geschwächte Muskulatur und insbesondere auch eine geschwächte Atemmuskulatur auf. Sobald sich die Patienten wieder regelmässig bewegen können, empfehlen wir deshalb auch mit Atemtraining und Muskeltraining anzufangen.

Seit ich mit Gesichtsmaske im Spital die Treppen steige, erlebe ich täglich nochmals näher, was für einen Stellenwert die Atemmuskulatur hat. Die Maske behindert die Atmung und ich muss bereits bei normalem Treppensteigen über mehrere Stockwerke mehr Atemarbeit leisten oder müsste sonst mein Tempo recht einschneidend – und Bern gerecht – anpassen. In ähnlichem Zustand dürfte die Atmung bei vielen COVID-19 Patienten mit akutem oder auch durchgemachtem Infekt im Moment sein.

Den STMedical setzen wir aber nicht erst seit dieser Pandemie ein, sondern bereits seit seiner Einführung vor mehr als 10 Jahren. Die Entwicklungszusammenarbeit zwischen der Idiag und der ETH mit Frau Prof. Dr. med. Christina Spengler vom Exercise Physiology Lab habe ich damals nahe mitverfolgt und war von Anfang an überzeugt vom wissenschaftlichen Ansatz. Wir haben seither sowohl mit dem Gerät als auch mit den Dienstleistungen seitens Idiag ausschliesslich erfreuliche Erfahrungen gemacht. Die Effekte der STMedical-Anwendung sind in zahlreichen Studien nachgewiesen, so zum Beispiel die Verringerung von postoperativen Komplikationen, wenn vor dem Eingriff die Atemmuskulatur trainiert wurde.

Ganz unabhängig von den medizinischen Aspekten erachte ich das Training der Atemmuskulatur oft als sehr wichtig und in vielen klinischen Situation als extrem hilfreich. Es werden vereinfacht gesagt sämtliche Muskelpartien zwischen Hals und Beckenboden in einem sinnvollen effizienten, und dabei gleichzeitig vernünftigen und gesunden Ausmass trainiert, was wirklich viele positive Effekte mit sich bringt. Zum Beispiel lassen sich oft Verspannungen und Rückenschmerz-Situationen durch das ST-Medical-Training sehr gut beeinflussen, oder gibt es kaum Ersatz zum ST-Medical bei einseitigen oder beidseitigen Zwerchfellschwächen (sogenannten Zwerchfellparesen) oder manchmal auch im Rahmen von Schmerzen nach thorakalen operativen Eingriffen! Insbesondere werden dabei auch Muskeln mit trainiert, die sonst kaum je einem spezifischen Training zugänglich sind.

«Vereinfacht gesagt werden beim Atemmuskeltraining sämtliche Muskelpartien zwischen Hals und Beckenboden trainiert.»

Idiag: Bei welchen Patienten sehen Sie die erfreulichsten Resultate?

Hamacher: Es ist denkbar einfach: Ganz klar bei solchen, welche die Instruktionen zur Therapie einigermassen gut befolgen und regelmässig trainieren. Leider ist es so, dass kein Trainingsgerät (und auch kein Patient) perfekt ist. Wir schätzen, dass das Training mit dem STMedical bei ca. der Hälfte der Patienten in Frage kommt. Die Handhabung ist für technische Laien bereits eine gewisse Herausforderung, wiederum anderen fehlt die Disziplin, um ein striktes Programm konsequent durchzuziehen. Wird die verordnete Therapie jedoch aktiv befolgt – und dies ist auch in den eigenen vier Wänden oder auf dem eigenen Balkon möglich – zeigt sich praktisch ausnahmslos ein sehr erfreulicher Aufbau von Ausdauer und von Muskelkraft. Wir gehen zudem davon aus, dass Muskelaufbau selbst viele weitere Effekte hat, so insbesondere auch Effekte von Entzündungshemmung: Ein vorsichtiger Muskelaufbau ist mit grosser Wahrscheinlichkeit für den ganzen Körper entzündungs- und schmerzsenkend und wahrscheinlich ganz holistisch viel gesünder als dies auf den ersten oberflächlichen Blick hin angenommen wird. Eine wichtige Erkenntnis in meiner Arbeit ist nämlich folgende: Muskel ist der Effektor für uns, und erhaltene Muskelfunktion ist zentral für Lebensqualität, Unabhängigkeit und für Selbsteffizienz. Das gilt während des ganzen Lebens, wirklich inklusive des letzten Lebenstags.

Idiag: Sie sprechen die Handhabung des STMedical an. Unsere Entwicklung hat sich mit dem Thema intensiv auseinandergesetzt und das Resultat ist nun im Idiag P100 zu sehen. Wie beurteilen Sie das neue Gerät?

Hamacher: Ich freue mich wirklich sehr auf den Idiag P100 und werde ihn mir sicherlich genauer anschauen und auch mit ihm trainieren. Besonders hohe Erwartungen habe ich hinsichtlich der neuartigen und in den Trainingswissenschaften hoch aktuellen und faktisch auch wirklich erfolgreicheren Kombination von Kraft und Ausdauer. Was das Design angeht, merkt man auch, dass sich einiges getan hat seit der Einführung seines Vorgängers, dem SpiroTiger oder auch seit der Lancierung des STMedical als medizinisch zertifiziertes Pendant. Die handlichere Grösse, das neue Display und vielleicht auch die Tatsache, dass das Gerät in Kombination mit einer App funktioniert, helfen wahrscheinlich auch hinsichtlich der Benutzerfreundlichkeit der neuen Trainingsmodi. All dies werden wir sobald wie möglich genauer testen, und die Liste der Interessierten wird in unserem Team laufend grösser.

Zurzeit fehlt ja noch die Zertifizierung als Medizinprodukt, damit ich das Gerät auch für bestimmte Indikationen verordnen kann. Aber ich vermute, da sind Sie bereits dran?

Idiag: Auf jeden Fall. Wir sind dabei, den P100 weiterzuentwickeln um in absehbarer Zeit die Zertifizierung als Medizinprodukt zu erlangen, damit er auch kassenpflichtig von Ärzten verschrieben werden kann. Wir rechnen damit, dass dies in den nächsten ca. 18 Monaten der Fall sein wird.

Hamacher: Viele Patientinnen und Patienten und auch ich freuen uns mit Sicherheit darauf!

Idiag: Wir uns auch! Und bis dahin lassen sich die positiven Effekte des Atemmuskulaturtrainings als Selbstzahler auch mit dem P100 erreichen. Wir bedanken uns herzlich für das Gespräch und wünschen Ihnen alles Gute.

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Das Gespräch mit PD Dr. med. Hamacher wurde am 7. Mai 2020 geführt. Er ist unabhängiger Pneumologe und erhält keine Geldleistungen oder geldwerte Vorteile für dieses Interview oder allfällige sonstige Zusammenarbeit mit der Idiag AG.

Weitere Informationen zum Idiag P100 finden Sie hier.

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